Gastbeitrag von Matthias Jünger: Gärtnern als stille Form der Körperarbeit – Mit den Händen in der Erde zur inneren Balance
Der Körper spricht im Garten zuerst
„Es beginnt oft ganz unscheinbar. Ich greife zur Schaufel, beuge mich vor, spüre das Gewicht der Erde, das unter meinen Händen nachgibt. Noch denke ich an die Einkaufsliste, an Termine. Doch irgendwann – meist ganz ohne Absicht – verschiebt sich der Fokus. Der Atem wird tiefer. Die Bewegungen langsamer. Ich merke, wie mein Rücken sich reckt, meine Beine den Boden fester spüren wollen. Der Körper meldet sich zurück. Nicht laut, nicht fordernd. Aber spürbar. Fast wie in einer Massage, bei der nicht gesprochen wird und doch alles gesagt ist.
Gartenarbeit ist eine besondere Art von Körperarbeit. Nicht in dem Sinne, dass sie gezielt Verspannungen löst – sondern weil sie uns in einen ursprünglichen Bewegungsfluss bringt. In die Knie gehen, graben, anheben, innehalten. Es ist ein Wechselspiel aus Aktivität und kurzer Stille, fast wie ein Körperdialog. Und dabei ist der Garten geduldig. Er erwartet kein Ergebnis. Kein „fertig sein“. Nur Gegenwart. Genau das macht ihn für viele Menschen zu einem Ort der unbewussten Heilung – weil der Körper endlich wieder tun darf, was er schon immer konnte: sich selbst spüren.
Achtsamkeit in Bewegung: Gartenarbeit als meditative Praxis
Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich zum ersten Mal bewusst ein Saatkorn in die Erde legte. Nicht einfach nur „ausgesät“, wie man das eben macht – sondern wirklich mit Präsenz. Die Fingerspitzen spürten die raue Struktur des Samens, der Duft der feuchten Erde stieg mir in die Nase, und für einen kurzen Augenblick war alles ruhig. Kein Gedanke an morgen, kein Scrollen, kein Müssen. Nur ich und dieses kleine, unscheinbare Korn, das in stiller Erwartung lag. Ich ahnte: Hier passiert gerade mehr als Gartenarbeit. Hier geschieht Achtsamkeit.
Die Donau Universität Krems beschreibt in einer Abschlussarbeit zur Gartentherapie, wie Kinder durch achtsames Tun im Garten wieder Zugang zu innerer Ruhe finden(3). Und das gilt nicht nur für Kinder. Die Wiederholung einfacher Handlungen – Erde lockern, gießen, schneiden – bringt uns zurück in den Moment. Die Aufmerksamkeit liegt nicht auf dem Ergebnis, sondern auf dem Tun selbst. Ich hebe die Gießkanne – nicht wie ein Werkzeug, sondern fast wie ein Ritual. Das Geräusch des Wassers, das sanft in den Boden sickert, wirkt beruhigender als jede App zur Entspannung. Die Bewegung wird zum Anker im Jetzt.
Anders als bei vielen geführten Meditationen, bei denen wir still sitzen, ist Gärtnern eine „aktive Achtsamkeit“. Der Körper darf sich bewegen – aber ohne Eile, ohne Ziel. Ich brauche keine Matte, kein Equipment, kein Vorwissen. Nur meine Hände, etwas Erde und die Bereitschaft, mich einzulassen. Und manchmal, mitten im Tun, kommt dieses flüchtige Gefühl von Weite. Von „alles ist gut, so wie es ist“. Vielleicht ist genau das der Punkt, an dem Gartenarbeit still zur Therapie wird – ohne dass wir es so nennen müssten.
Die Wissenschaft dahinter: Warum Gärtnern tatsächlich gesund macht
Dass Gartenarbeit gut für die Seele ist, spüre ich selbst – aber es ist tröstlich zu wissen: Die Wissenschaft bestätigt dieses Gefühl längst. Laut einem Artikel der Techniker Krankenkasse verbessert regelmäßige Gartenarbeit nachweislich die Herzfrequenzvariabilität, reduziert das Stresshormon Cortisol und stärkt das Immunsystem(4). Besonders spannend finde ich, dass selbst kurzes Unkrautzupfen oder das Beobachten wachsender Pflanzen bereits stimmungsaufhellend wirken kann. Im Fachjargon spricht man von einer „grünen Expositionstherapie“ – für mich klingt das einfach wie ein Spaziergang durchs Beet mit Handschuhen.
Auch das GEO Magazin berichtet: Der Kontakt mit Mikroorganismen in der Erde – insbesondere Mycobacterium vaccae – kann ähnlich wie ein leichtes Antidepressivum wirken(2). Klingt verrückt? Vielleicht. Aber ich erinnere mich an Tage, an denen ich erschöpft, gereizt oder fahrig in den Garten ging – und eine Stunde später war da dieses sanfte, klare Gefühl im Kopf. Kein euphorisches Glück, sondern eher eine leise Ausgeglichenheit. Wie ein innerer Reset. Wer hätte gedacht, dass ein paar Hände voll Erde so etwas auslösen können?
Gärtnern als Brücke zwischen Bewegung, Stille und Präsenz
Vielleicht ist es genau das, was Gartenarbeit so besonders macht: Sie zwingt uns zu nichts – und schenkt uns doch so viel. Keine App, keine Übung, kein Plan kann die Art von Präsenz ersetzen, die entsteht, wenn wir mit den Händen in der Erde stecken, die Zeit vergessen und einfach „da sind“. Der Garten urteilt nicht. Er stellt keine Fragen. Aber er antwortet – mit Wachstum, Stille und dieser wunderbaren Art von Ordnung, die nur in der Natur existiert. Und manchmal, ganz ohne es zu merken, sortieren sich dabei auch unsere Gedanken.
Ich glaube, wer sich regelmäßig der Erde zuwendet, wendet sich auch sich selbst zu. Und das, ohne dass es immer große Worte braucht. Ob mit Harke oder bloßen Händen: Wer gärtnert, bewegt nicht nur den Boden, sondern oft auch sich selbst. Vielleicht ist es an der Zeit, Gartenarbeit nicht nur als Hobby zu sehen – sondern als stillen Begleiter auf dem Weg zu mehr Balance. Und wer weiß: Vielleicht beginnt der nächste Schritt zur inneren Ruhe genau dort, wo der erste Finger den feuchten Boden berührt.“
Quellen für weitere Infos zum Thema
Hessischer Rundfunk. (2023, 2. Juni). Hände in die Erde als Therapie: Warum tut Gartenarbeit gut?
GEO Redaktion. (2023, 14. April). Warum Gärtnern gesund ist und uns glücklich macht.
Bernleitner, C. (2016). Achtsamkeit und Präsenz in der Gartentherapie mit Kindern (Abschlussarbeit, Donau-Universität Krems).
Techniker Krankenkasse. (2022). Gute Gründe, die Schaufel in die Hand zu nehmen und zu gärtnern.
Abbildung/Foto: Verwurzelung beginnt in den Händen. Foto: Sandie Clarke / unsplash.com (2021)

Über den Autor
Matthias Jünger betreibt die Plattform Garden-Shop.at und lebt seine Leidenschaft fürs Gärtnern mit jeder Handvoll Erde. Was als Hobby begann, ist längst zur Berufung geworden – mit einem besonderen Fokus auf nachhaltige Gartenkultur, Permakultur und klimaresilientes Gärtnern. Aufgewachsen zwischen Kompost und Kompromissen, liebt er das Experimentieren mit Anbaumethoden, die nicht nur heute funktionieren, sondern auch morgen noch Früchte tragen.
Durch seinen Online-Shop kennt er die Fragen, die Gärtnerinnen und Gärtner heute umtreiben – von Trockenheit bis Torffreiheit, von Mulch bis Mikroklima. Sein Ziel: Gartenzeit für alle zugänglich und sinnvoll gestalten. In diesem Beitrag teilt er persönliche Erfahrungen und Impulse für ein Gärtnern, das mehr ist als nur ein Hobby – nämlich ein echter Beitrag zu einem guten Leben.
Ing. Matthias Jünger, MBA, www.garden-shop.at