Berührung nach dem Lockdown – ein gesellschaftlicher Wandel
Berühren und berührt werden
Corona – ein Fastenjahr für Berührung geht zu Ende
Zu berühren und berührt zu werden, sind essentielle, menschliche Bedürfnisse. Menschliche Berührung ist unverzichtbar. Einschneidende Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie und der daraus folgenden Schutz- und Hygieneempfehlungen, die unseren Alltag ein Jahr lang prägten, sind der Rückzug, die Isolation, die Vereinsamung, der Mangel und Verzicht auf menschlichen Kontakt und Berührung.
Großes Leid erfuhren Menschen, die in Institutionen leben oder dort gepflegt werden und monatelang wenig oder keine Besuche erhalten durften. Wer hielt ihnen die Hand, wer umarmte sie? Schwer auszuhalten waren Bestattungen im allerkleinsten Kreis, wenn Trost der Gemeinschaft aller Angehörigen und Freunde nicht direkt spürbar in einer Umarmung geteilt werden konnte. Auch am gegenüberliegenden Ende der Alterspyramide, bei Studenten, Teenagern und Kindern hat die Pandemie Spuren hinterlassen. Freunde durften sich nicht treffen, Party fiel aus, Studieren bedeutete Bildschirmarbeit und war ohne Campus und Hörsäale voller Gleichgesinnter langweilig. Home-Schooling funktioniert nur für etwa 30% – die große Mehrzahl der Schüler*innen stellte gerade im Verlust der Klassengemeinschaft und des direkten Lehrer-Schüler-Kontaktes fest: Schule ist gut, und wenn ich nicht in die Schule darf, verkümmert etwas in mir.
Der Beiersdorf-Konzern/NIVEA veröffentlichte am 28.01.2021 die internationale Studie „Menschliche Berührung in Zeiten der Pandemie”. Über 11.000 Menschen aus neun Ländern nahmen an Befragungen zur Studie teil. Wir zitieren daraus …
Ergebnisse der NIVEA Studie „Menschliche Berührung in Zeiten der Pandemie“
• Durch die Pandemie und den notwendig gewordenen Abstand voneinander ist menschliche Berührung noch wichtiger geworden – und gleichzeitig ist es durch die Schutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie für Menschen schwieriger, den Hautkontakt zu bekommen, den sie brauchen.
• Um unser Bedürfnis nach sozialen Kontakten zu befriedigen, kommunizieren wir jetzt über unsere Computerbildschirme miteinander, anstatt uns persönlich zu treffen. Körperkontakt ist während der Pandemie eingeschränkt, aber wichtiger denn je.
• Einsam und ohne menschliche Berührung: Besonders Singles, Alleinerziehende und Menschen über 50 gaben an, verstärkt unter Einsamkeit zu leiden.
• COVID-19 lenkt die Aufmerksamkeit auf den Mangel an menschlicher Berührung. Durch die Isolation …
… fühlen sich 49% einsamer als je zuvor in ihrem Leben
… denken 72% darüber nach, wie oft sie andere Menschen berühren
… wird 75% bewusst, wie wichtig Körperkontakt für unsere Gesundheit ist.
• So wie wir Hunger empfinden, wenn wir nicht genug Nahrung zu uns nehmen, hat uns die Pandemie ausgehungert nach menschlicher Berührung, nach direktem Hautkontakt.
• 58% gaben an: „Durch die Isolation sehne ich mich mehr als zuvor nach Berührung.”
• 59% gaben an: „Ich vermisse den Körperkontakt und muss ihn nach der Krise nachholen.“
Studienergebnisse bestätigen unsere Erfahrung
Wir sind Berührungsexperten; wir arbeiten als Behandler, Massage-Lehrer und sind Initiatoren des internationalen TouchLife Massage-Netzwerks. Unsere Berufserfahrung deckt sich mit den Ergebnissen der NIVEA Studie: Das Pandemiejahr ist auf einer Ebene wie ein langes Fastenjahr gewesen: Verzicht auf Begegnung, Nähe, Berührung.
Körpernahe Dienstleistungen und Massagepraxen im Lockdown
Zehntausende Praxen und Orte der sogenannten körpernahen Dienstleistungen sind monatelang im Lockdown unter ein vorübergehendes Tätigkeitsverbot gefallen. Phasenweise mussten wir beispielsweise verzichten auf: Friseurbesuch, Kosmetik, Fußpflege, Wellnessmassagen, Aromatherapie, Reflexzonenarbeit, Reiki, Shiatsu, TouchLife, Ayurveda, Traditionelle Thai-Massage, Rolfing und viele ähnliche, wunderbare Angebote. Orte und Menschen, die uns nähren, wo wir uns unterstützen lassen und wo wir in einem sicheren Rahmen achtsam und fachgerecht berührt werden, waren nicht erreichbar. Das hat uns schmerzlich bewusst gemacht, wie sehr unsere Balance und Lebensqualität eben auch von diesen angenehmen und gesunden Behandlungen bzw. Dienstleistungen abhängt.
Was es mit den Behandler*innen gemacht hat
Wir kommunizieren mit hunderten Praxen in Deutschland, Schweiz und Österreich, in denen TouchLife praktiziert wird; auch mit Verbänden verwandter Methoden stehen wir im Austausch. Das tat uns allen weh: Menschen, die Beschwerden hatten und Termine brauchten, zu vertrösten. Nicht behandeln und helfen zu können. Die sinnvoll erlebte und lieb gewonnene Arbeit nicht ausführen zu dürfen. Die Sorgen um finanzielle Einbußen, weil laufende Kosten bei Selbständigen weiterhin bedient werden müssen. Auf der anderen Seite berührten uns Gesten der Solidarität: Klienten kauften Gutscheine oder bestanden darauf, ihre Sitzungen, die wegen Inzidenzwerten abgesagt werden mussten, einfach so zu bezahlen.
Was wir in Öffnungsphasen nach dem Lockdown beobachten
Die ersten Termine sichern sich die Dauerklienten*innen: Sie wissen aus eigener Erfahrung, was ihnen fehlte. Die erste Massageberührung nach Wochen oder Monaten: Ein Fest für die Haut, die Faszien, die Muskeln, das Energiesystem. Aufatmen, endlich wieder Gehaltensein, Berührtwerden. Tränen der Rührung bei manchen, tiefe Erschöpfung und Ausgelaugtsein bei vielen, was in den Vor- und Nachgesprächen geteilt und bezeugt werden möchte.
Lass dich berühren
Ob es der Sommer ist, die wachsende Zahl Genesener und Geimpfter oder einfach ein zyklisches Phänomen – was entsteht, vergeht auch wieder, so auch eine Pandemie – die Inzidenzwerte sinken in Deutschland und den meisten europäischen Ländern, das gesellschaftliche Leben erholt sich. Ist dein Berührungsspeicher noch gefüllt oder leer? Kennst du Behandler*innen, unter deren Händen du dich wohl fühlst? Bist du bereit, dir wieder mehr Berührung zu gönnen?
Massage – eine alte Tradition
Was haben Methoden, die mit Berührung arbeiten, gemeinsam? Dass ein Mensch den anderen mit seinen Händen berührt, ist der gemeinsame Nenner aller Massagemethoden. Berührung ist eine Ur-Behandlung. Wenn ein Kind hinfällt, trösten Erwachsene intuitiv und streichen über die Stelle, wo es sich weh getan hat: „Es wird schon wieder gut!“ Diese uralte Erfahrung der Menschheit führte zur Entstehung des wohl ältesten „Heilmittels“ für Körper, Geist und Seele, der Entwicklung systematischer Berührungen in Form von Massage. Weltweit und seit alters her gibt es Menschen, die sich dazu berufen fühlen, mit Berührung zu arbeiten und andere mit dem zu unterstützen, was wir immer bei uns tragen: Unsere Hände, unser Herz und unsere freundlichen Worte.