Was ist Intuition?
Irina Modersitzki, Herausgeberin der „Intuition Hamburg, Magazin für Spiritualität und Gesundheit”, im Gespräch mit Frank B. Leder (das Interview erschien im September 2006)
Was ist Intuition für Sie?
F.B.L.: Für mich ist Intuition eine geistige Fähigkeit, die jedem gesunden Menschen innewohnt, wobei ich beobachte, dass nicht jede/r auf gleiche Weise diese Fähigkeit für sich zu nutzen vermag. Intuition erlebe ich als innere Wahrnehmungsqualität, mit Hilfe derer ich eine komplexe Lebenssituation gleichsam auf einmal erfasse, ihre Vielschichtigkeit und damit verbundene Fragen nach Ursache, Beziehung und Bedeutung derselben bildhaft, intellektuell, sensitiv oder emotional – oft auch von allem etwas – in mir selbst beantwortet finde.
Sie öffnet einen inneren Bewusstseinsraum des Verstehens und des Mitgefühls und lässt Menschen individuell aus dem kollektiven Bewusstsein schöpfen. Entscheidungen treffe ich oft aufgrund meiner Erfahrung, manchmal schlage ich aber auch intuitiv einen neuen Weg ein, wenn die Situation ein Wagnis gestattet und ich offen für neue Lösungen bin. Dabei stelle ich fest, dass ich mich auf meine Intuition – so sie sich meldet – sehr gut verlassen kann.
Intuition und Beruf – geht das für Sie zusammen?
F.B.L.: Es kommt wohl sehr auf die Art des ausgeübten Berufes an, inwieweit unsere Intuition Raum erhält. Je mehr Entscheidungsfreiheit jemand in seinem Beruf genießt, umso häufiger kann er auch intuitv auf Situationen reagieren. Im Vergleich: In einem vorgegebenen, stark schematisierten Produktionsablauf kommt es hauptsächlich auf die präzise Anwendung einstudierter Handgriffe an und weniger darauf, kreative Lösungen auf neue Herausforderungen zu finden. Eine solche Beschäftigung kann für Menschen, die lieber ganzheitlich gefordert werden und kreative Fähigkeiten haben, frustrierend sein.
In meinem Massageberuf spielt die Intuition eine wichtige Rolle. Beim Massieren bin ich Menschen nahe. Jeder Mensch ist einzigartig, was sich auch in seinem Körper äußert, deshalb gleicht bei mir keine Massage der anderen. Eine TouchLife Massage dauert 90 Minuten (einschließlich Vor- und Nachgespräch). In dieser Zeit werden die individuell verabredeten Massagethemen immer gründlich und vollständig bearbeitet. Auf der Ebene der Massagetechniken fühlen die sensitiven Hände ständig nach, wie der Mensch auf die Berührung reagiert. Mit den Augen nehme ich die lebendige Atembewegung wahr, ich lausche auf die Geräusche dabei. Zusätzlich erfrage ich während der Massage die momentane Befindlichkeit. All diese Informationen wandle ich intuitiv in den nächsten Massagegriff um, der mal fest oder leicht, dynamisch oder ruhig aus den Händen fließt, und die Hände finden dann einfach zu den „richtigen“ Stellen. Diese Arbeit entsteht wirklich im Augenblick, sie ist schöpferisch, und in diesem Stadium wird aus dem Handwerk eine Kunst. Allerdings erfordert eine solche Massage seitens des Behandlers eine gewisse Offenheit sowie die Fähigkeit, sich augenblicklich immer wieder neu auf einen anderen Menschen beziehen zu können. Hierbei scheint mir eine intuitive Vorgehensweise im Vorteil zu sein gegenüber einer Behandlungstechnik, die ein Schema überstülpt, das irgendwann einmal gelernt und abgespeichert wurde und dann nur noch abgespult wird.
Aus diesem Grund sehe ich als Massage-Lehrer meine Aufgabe auch darin, meinen Schülern zum einen bewährte Behandlungstechniken weiter zu geben, die für sie ein Gerüst für eine fundierte Massagearbeit abgeben. Mir geht es darüber hinaus aber auch darum, die angehenden TouchLife Praktiker in ihrem intuitiven Einfühlungsvermögen zu schulen, damit sie ihre handwerklichen Fähigkeiten immer dem aktuellen Prozess des Klienten anpassen können. Wer sich auf diesen beiden Ebenen entwickelt, leistet im Massagebereich überdurchschnittlich gute Arbeit und wird deshalb auch viele Klienten finden und eine erfolgreiche Praxis führen können.
Hören Sie immer auf Ihre Intuition?
F.B.L.: Wachheit vorausgesetzt, ja. Für mich ist Intuition wie ein zusätzlicher, sechster Wahrnehmungssinn, der mir gleichsam im Innern als weitere Informationsquelle zu den äußeren Sinneseindrücken dient. Auf meine Intuition zu hören ist aber nicht gleichbedeutend mit danach zu handeln. Die Verantwortung für mein Handeln trage ich ja in jedem Fall, ob ich nun „vom Kopf“ oder „intuitiv aus dem Bauch“ entscheide, um es einmal plakativ in der Körpersprache auszudrücken. Aber so wie Kopf und Bauch zu einem Körper gehören und wir jeden Schritt immer nur im Ganzen machen können, ist für mich auch die Intuition integriert im Sinne eines Sowohl-als-auch statt eines trennenden entweder-oder. Einer intuitiven Wahrnehmung schließt sich ein selektiver Entscheidungsprozess an, in dem ich abwäge, wie ich mich in der Situation auf Grund meiner Erfahrung, der Sinneseindrücke und der Intuition insgesamt verhalten möchte.
Welche Rolle spielt Intuition für Sie in der Beziehung zur Umwelt?
F.B.L.: Umwelt, das kann die Menschenumwelt (Partnerschaft, Familie, Arbeitsbeziehungen, Gesellschaft, Global Community) oder die natürliche Umwelt (Pflanzen, Tiere, natürliche Resourcen, Planet Erde) sein. Welche Rolle die Intuition für mich in Beziehung zu Menschen spielen kann, habe ich ja anhand des Beispiels beschrieben, wie ich eine individuelle und wirksame Massagebehandlung gestalte.
Deshalb möchte ich jetzt noch auf die Beziehung zwischen Intuition und Umwelt im Sinne unseres natürlichen Lebensraumes eingehen. Intuitives Denken erlaubt mir, im Innern abzuleiten, was im Außen gilt, im Kleinen zu spüren, was das Große bewegt. Die Natur zeigt mir in vielfältiger Weise, dass diese vernetzte Wahrnehmung funktioniert. Man denke an den Vogel- oder Fischeschwarm, der auf ein unsichtbares Kommando hin im gleichen Augenblick die Richtung wechselt. Hunde und Katzen zeigen durch ein ganz bestimmtes, aufgeregtes Verhalten bereits Stunden zuvor drohende Erdstöße und Beben an.
Der ganze, gigantische Anpassungsprozess in gegenseitiger Abhängigkeit der Arten, der sich in den unzähligen Lebensnischen und Biotopen unaufhörlich abspielt, ist für mich ein Synonym für ein intuitives, aus sich selbst heraus wissendes Miteinander der Lebensformen. Ob man einen großen Baum umarmt oder sich mit einem bewusst-atmenden Rücken einmal an einem stillen Ort draußen auf die Erde legt oder sich an einem Bachlauf sitzend mit geschlossenen Augen in das Geräusch des Wassers einstimmt: Mir scheint, dass wir durch unsere Sinnestore die Natur spüren und dann intuitiv unsere Verbundenheit mit ihr und den großen Wandlungsphasen, denen alles Lebendige unterworfen ist, erfassen können. Aus diesem Verständnis heraus integrieren wir im Rahmenprogramm der TouchLife Massageausbildung wenn möglich auch Übungen in der Natur, um Fähigkeiten wie Empathie, Mitgefühl, Intuition und Achtsamkeit zu schulen, die in den Behandlungen natürlich auch wieder den Klienten zu Gute kommen.