Eine berührende Geschichte von Autorin Hanna Krstić

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin entnommen aus:
Berührungspunkte von A-Z: Menschliche Berührung ist durch nichts zu ersetzen.

„Die erste Begegnung mit Jamaal Karim aus Isfahan fand sehr sortiert und klar geregelt in der Praxis eines renommierten Psychotherapeuten statt. Dort befand er sich wegen seines Drogenproblems in professioneller Behandlung. Forschungen zeigen, dass gezielte Körperarbeit Behandlungsergebnisse von Menschen mit Suchterkrankungen enorm verbessert.

Das zweite Treffen, dann bei mir in der Praxis, war eher chaotisch. Jamaal Karim war sichtlich aufgedreht, seine Schlafstörungen zeichneten sich deutlich in seinem Gesicht ab und ich hatte den Eindruck, dass er mich nicht wirklich ernst nimmt. Trotz ausführlichem Vorgespräch fanden wir keinen Draht zueinander. Dennoch legte er sich auf die Massageliege, bewegte sich allerdings unruhig hin und her. Mich für einen ersten Kontaktgriff zu entscheiden, fiel mir schwer.

Oft greife ich in solchen Situationen an die Füße der Klienten, um sie auf den Boden zu holen. In diesem Fall war es anders. Mich zog es direkt an seinen Kopf, was eine unmittelbare körperliche Nähe mit sich bringt. Das war genau die richtige Entscheidung. Es dauerte ein wenig, bis wir die richtige Position seines Kopfes in meinen Händen fanden. Doch kurz darauf spürte ich, wie sich seine Nackenmuskulatur deutlich entspannte und sein flatternder Atem sichtbar ruhiger wurde.

Der geschützte Platz war überraschend schnell gefunden. In diesem Nest meiner Hände konnte er zur Ruhe kommen und sich erholen. Aufatmen. Wir waren beide beeindruckt von diesem Moment und dieser Moment war es auch, der die Brücke von ihm zu mir schlug und sie über einen Zeitraum von 18 Monaten immer stabiler werden ließ.

Unsere Verabredungen waren seitdem geprägt von Respekt und Vertrauen und auch von ungewohnter Zuverlässigkeit, was in der Arbeit mit Substituierten nicht selbstverständlich ist. Seine Atemnot wurde seltener, sein Schlaf ruhiger, sein System stabiler. Es war eine Freude, seine Entwicklung zu beobachten und auch zu spüren, dass unser zwischenmenschliches Band immer fester wurde.

Ich gebe zu, dass der vertrauensvolle Umgang sicher damit zusammenhing, dass ich entgegen meiner sonstigen professionellen Zurückhaltung auch Privates von mir preisgab. Wahrscheinlich war es genau diese Offenheit, die unsere Zuneigung zueinander verstärkte.

Im Laufe des Jahres durfte ich immer wieder seinen Kopf halten, ihm die Stirn ausstreichen, seine Atemhilfsmuskulatur dehnen und ihm helfen, Fuß zu fassen. Ich durfte teilhaben an seinen Nöten im Zusammenhang mit seiner Familie und seinem Dilemma im Zwiespalt der Kulturen.

Ich lernte, dass der Name Karim „der Großzügige, der Wohltätige, der Vornehme“ bedeutet.

Mit Beginn des Winters wuchs seine Fürsorge mir gegenüber. Er brachte mir Safran mit, Pistazien, Maulbeeren, unglaubliche Süßwaren und warmherzige Freundlichkeit. Im Januar des Folgejahres brachte er mir einen Traum von einer Winterjacke, die ich partout nicht annehmen wollte. Ich erklärte ihm meine beruflichen und ethischen Einwände und er war geknickt. Dennoch brachte er mich dazu, die Jacke anzuprobieren – sie saß perfekt.

Dann erklärte er mir, dass die Jacke meinem Schutz dienen solle, sie mich wohlig wärmen und auch halten möge. Dass die Jacke all das in sich berge, was ich ihm habe zuteilwerden lassen. Sie sei seine Art, seine Dankbarkeit auszudrücken.

Nun ja, ich habe die Jacke behalten und sie dient mir ganz wunderbar. Jedes Jahr, wenn ich sie mit Einbruch der Kälte aus der Schutzhülle nehme, erinnere ich mich an Jamaal Karim aus Isfahan und trage mit Würde seinen Schutzmantel.“

Hanna Krstić
Praxis & Schule für TouchLife Massage Köln
Telefon: 0221.760 23 12
www.hanna-k.de

Diese Geschichte hat die Autorin auch eingelesen. Zum Anhören ihrer Stimme …

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